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„Gefahren können verringert werden“ – Interview zur Corona-Krise

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek | Raiffeisenzeitung | Nr. 17 / 23.04.2020 | Interview

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Der Neurologe und bekannte Referent am Raiffeisen Campus, Wolfgang Lalouschek, erklärt Wege, um widerstandsfähiger durch die Corona-Krise zu kommen – ohne Medikamente.

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage in Österreich in Bezug auf das Corona-Virus?

Wolfgang Lalouschek: Führende Virologen gehen weiterhin davon aus, dass erst dann die sogenannte Herdenimmunität erreicht wird, wenn 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit dem Covid-19-Virus in Kontakt gekommen sind. Das wird vermutlich über die nächsten zwei Jahre auch passieren. Daher ist es jetzt so wichtig zu erkennen, dass medizinische Studien eindrücklich zeigen, wie viele der Gefahren dieser Erkrankung durch entsprechende Modifikationen des Lebensstils in kurzer Zeit signifikant verringert werden können.

Welche Modifikationen können das sein?

Lalouschek: Etwa durch moderates Ausdauertraining in einem nicht zu hohen Pulsbereich kann der Immunstatus um bis zu 50 prozent verbessert werden. Ebenso zeigen Studien, dass bei Menschen, die regelmäßig meditieren, die Anzahl der Immunzellen um bis zu 70 prozent höher ist als bei jenen, die sich nicht richtig entspannen können. In einem Team von anerkannten Fachexperten haben wir bestehende Erkenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen verschiedener Maßnahmen des lebensstils auf körperliche und psychische Funktionen analysiert und ein maßgeschneidertes Gesundheitsprogramm zusammengestellt. ‚Wir bleiben JETZT gesund’, lautet die Devise.

Was beinhaltet dieses Programm?

Lalouschek: Es betrifft unter anderem Bereiche des Immunsystems und der Abwehrfunktionen sowie andere Funktionen, die gerade bei einer Infektion besonders wichtig sind: Mikrozirkulation, Sauerstoffkapazität, Lungenfunktion, Stoffwechsel wie auch psychische Stabilität und Resilienz. Das programm enthält Maßnahmen, die jeder Einzelne für sich machen kann. Und zwar in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Schlaf, Entspannung, Psyche und Lebensstil.

Wie wirken sich diese Hebel auf den Symptomverlauf bei einer Covid-19-Infektion aus?

Lalouschek: Unabhängig von einer möglichen Wirkung auf den Infektionsverlauf sind die personen danach gesünder als zuvor. Und vor allem gibt uns dies etwas in die Hand, mit dessen Hilfe wir selbst etwas tun können und gibt uns ein konkretes Ziel: ‚Ich nehme meine Gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen das Corona-Virus selbst in die Hand.‘ Dies ist psychisch stark stabilisierend. Ziel ist es natürlich auch, dadurch das Risiko schwerer Symptome auf einen zumindest milden Verlauf zu senken – und das wohlgemerkt ohne die Einnahme von teuren Zusatzpräparaten.

Welche Zielgruppe sprechen Sie damit an?

Lalouschek: Derzeit befinden wir uns in einer phase, wo wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, die Interesse haben dieses umfassende Gesundheitsprogramm ihren Mitarbeitern oder ihren Kunden anzubieten. In zweiter Ebene sprechen wir auch Gemeinden an. Das 3-wöchige Programm kann hierbei an die spezifischen Besonderheiten verschiedener Gruppen der Bevölkerung in puncto Altersverteilung, bestehende Risikofaktoren bzw. Bildungsgrad angepasst werden.

Was erwarten Sie sich von diesem Gesundheitsprogramm?

Lalouschek: Eine solche Maßnahme ist bislang einzigartig und kann signifikant dazu beitragen, dass wir alle besser und gesünder durch die Corona-Krise kommen. Durch die Kooperation mit Medien ist eine nationale Gesundheitsaktion möglich, wie es sie bislang in keinem land gibt und die damit Vorbildwirkung auch für andere länder hat. Ich sehe für Unternehmen keinen vernünftigen Grund, diesbezüglich nicht aktiv zu werden. Gerade auch im Vergleich mit den Kosten, die entstehen können, wenn etwa große Teile einer Belegschaft vom Corona-Virus betroffen sind. Demgegenüber sind die Kosten eines solchen Gesundheitsprogramms marginal.

Wann rechnen Sie mit einer entsprechenden Impfung gegen das Covid-19-Virus?

Lalouschek: Mit einem wirksamen und verträglichen Impfstoff ist in frühestens ein- bis eineinhalb Jahren zu rechnen. Umfangreiche Studien zu Medikamenten werden vermutlich im Sommer bzw. Herbst abgeschlossen sein. Aber: Erste Ergebnisse aus den bisherigen Pilotstudien erweisen sich bisher als weniger ermutigend, als man sich das erhofft hat. Umso wichtiger ist es daher, die Abwehrkräfte jedes Einzelnen aktiv zu stärken. Diesen wichtigen Hebel, den wir da gemeinsam in der Hand haben, gilt es zu ergreifen.

Welche Empfehlungen geben Sie bis dahin in Zeiten des verordneten ‚Social Distancing‘ zur Erhaltung der psychischen Stabilität?

Lalouschek: Gefühlte Hilflosigkeit zählt zu den am meisten stressenden Faktoren in Bezug auf die Gesundheit. Daher ist es derzeit besonders wichtig, den gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus beizubehalten und sich täglich Ziele zu setzen und diese auch umzusetzen. Ansonsten kann eine Mischung aus Angst und lethargie von uns Besitz ergreifen, die das Immunsystem wiederum stark schwächen würde. Hilfreich können zudem auch To-do-listen, aber auch Not-to-do-listen sein, um eine produktive Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig sollten wir uns vor Augen führen, in welch privilegiertem land wir leben und wie glimpflich Österreich in Relation zu vielen anderen ländern bis dato während der Corona-Krise davongekommen ist. Dennoch sind in dieser völlig neuartigen Situation Sorgen völlig normal. Wichtig ist dabei, mutig zu bleiben, um mit möglichen Ängsten aktiv umgehen zu können.