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Gibt es geschlechtsspezifisches Burnout?

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lalouschek & Thomas J. Nagy | Ärzte Krone | 22/09 | Medical Coaching | Burnout Teil 4

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DIE STUDIENLAGE zur Häufigkeit von Burn-out bei Frauen und Männern ist unterschiedlich. Während in manchen Untersuchungen höhere Burn-out-Raten bei Frauen gefunden wurden, könnten Männer auch eine höhere Schwelle haben, seelische Probleme zuzugeben als Frauen, wodurch die wahre Häufigkeit von Burnout bei Männern verschleiert würde.

BEDENKT man die Entstehungsbedingungen von Burn-out, sollten hinsichtlich geschlechtsspezifischer Faktoren mehrere Ebenen berücksichtigt werden:

PHYSIOLOGISCHE (KÖRPERLICHE) UNTERSCHIEDE

Frauen etwa schütten in bestimmten Stresssituationen Oxytocin aus, ein Hormon, das typisch weibliches Verhalten wie Beschwichtigen und Suchen von Sozialkontakten begünstigt. Oxytocin vermindert aber auch die Reaktion des Herz-Kreislauf- Systems auf Stress – Blutdruck und Pulsrate steigen weniger stark an. Östrogen scheint die schützende Wirkung des Oxytocin weiter zu verstärken. Bei Männern und Frauen werden außerdem unterschiedliche Hirnregionen bei Stress aktiv. Dies könnte darauf hindeuten, dass das männliche Gehirn stärker auf externe Reize ausgelegt ist, während das weibliche eher auf interne Stressoren achtet.

PSYCHOLOGISCHE UNTERSCHIEDE

Frauen zeigen in Stresssituationen eher die Strategie „tend and befriend“ (sich kümmern, behilflich sein), während bei Männern eher die „Fight or flight“-Reaktion (also Kampf und Aggression oder Flucht und Rückzug – z.B. auch in Verdrängung und Süchte) zu beobachten ist. Am Arbeitsplatz scheinen Frauen sowohl Unterstützung als auch Stress stärker über die sozialen Beziehungen zu erleben als Männer.

ROLLENBILDER

Hinsichtlich der Rollenbilder und -muster wiesen frühere Untersuchungen darauf hin, dass Männer ihre gegenwärtige Position eher als Baustein einer „Karriere“ betrachten, während Frauen dazu tendieren, ihre aktuelle Position im Fokus zu haben und diese möglichst gut erfüllen zu wollen. Dies wurde allerdings in jüngerer Zeit wieder infrage gestellt und hängt auch wesentlich von der Sozialisation ab.

SOZIALE UNGLEICHHEITEN

Der derzeit wohl wesentlichste geschlechtsspezifische Aspekt bei Burn-out sind jedoch deutliche soziale Unterschiede und Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben. So erhalten Frauen nach wie vor für gleichwertige Arbeit deutlich weniger Gehalt als Männer, was im Sinn der Burn-out-Gefährdung sowohl eine geringere Anerkennung widerspiegelt als auch den Stress der Lebenserhaltung vergrößert. Die weiterhin deutlich größere Rolle der Frau bei der Kindererziehung stellt zudem die wesentlichste Beschränkung für die Berufstätigkeit und Karrieremöglichkeiten von Frauen dar. Vorgeschlagene Teilzeitmodelle wiederum sind mit fehlenden Karrierechancen und Einkommenseinbußen verbunden. Die Doppelbelastung zwischen Beruf und Familie trägt auch zur höheren Burn-out-Gefährdung von Frauen bei.

GETRENNTE LÖSUNGEN FÜR FRAUEN UND MÄNNER?

Auf Basis der genannten physiologischen und psychologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen wäre es naheliegend, dass sinnvolle Maßnahmen zur Gestaltung des Arbeitsumfeldes und zum Umgang mit chronischem Stress durchaus geschlechtsspezifisch gestaltet werden sollten. Auf jeden Fall müssen einerseits die weiterhin bestehenden massiven sozialen Benachteiligungen von Frauen in der Arbeitswelt beseitigt werden – ein Prozess, der wohl schon im Gange ist, sich jedoch als ziemlich träge erweist. Doch auch hinsichtlich des Burn-outs bei Männern gilt es, die stärkere Tendenz zu Rückzug, Süchten und Verleugnung, gezielt zu beeinflussen, z.B. durch Angebote, die Männer ausreichend motivieren, Unterstützung auch in Anspruch zu nehmen. Dies hängt wiederum mit männerspezifischen Rollenbildern zusammen – also mit Image, Karrierebildern und dem Bild vom Mann, der keine Unterstützung benötigt.